In der Woche vor dem alljährlichen taoistischen Tai Ping Jiao Festival, auch als Cheung Chau Bun Festival bekannt, ist für Martin Kwok, Bäcker in zweiter Generation in einer 40 Jahre alten Familienbäckerei auf Cheung Chau, immer viel los. Tausende Menschen strömen während des Festivals auf die winzige Insel, um daran teilzunehmen – und eines der ikonischen „lucky buns“ („Glücksbrötchen“) von Kwok Kam Kee zu genießen. Die traditionellen weißen, gedämpften Reismehlbrötchen enthalten süße Füllungen und tragen einen runden roten Stempel mit den chinesischen Schriftzeichen „ping on“, was auf Deutsch Sicherheit oder Frieden bedeutet.
„Der Legende nach wurde Cheung Chau vor mehr als einem Jahrhundert während der Qing-Dynastie (1644-1911) von einer Seuche heimgesucht“, sagt Kwok. „Um die wütenden Götter und Geister zu besänftigen, buken die Einwohner Hefe-Brötchen als Opfergabe.“ Das viertägige Fest findet in der Regel Ende April oder im Mai statt, am achten Tag des vierten Monats des Mondkalenders, der mit Buddhas Geburtstag zusammenfällt. Zu den Höhepunkten gehören eine Parade mit bunt geschmückten Festwagen und der äußerst beliebte Wettkampf, bei dem mutige Teilnehmer gegeneinander antreten, um „Brötchentürme“ zu erklimmen und so viele Brötchen wie möglich zu ergattern. Vor allem diejenigen an der Spitze der Türme sind am begehrtesten.
Kwoks Betrieb, die älteste Bäckerei für „lucky buns“ auf Cheung Chau, der „langen Insel“, stellt rund 30 000 Stück her, um die immense Nachfrage während des Festes zu decken. Dem Unternehmen geht es jedoch nicht nur darum, diese langjährige Tradition in Hongkong fortführen, es hat auch viele Veränderungen eingeführt, die das Fest noch attraktiver machen. Dies hat das Unternehmen auch bei jüngeren Generationen der Stadt und darüber hinaus bekannt gemacht.
Noch vor fünf Jahren führte Kwok, der für die vielen Veränderungen im traditionellen Familienunternehmen verantwortlich ist, ein völlig anderes Leben. Sechs Jahre lang hatte er sich bis zum Senior Manager eines Finanzinstituts hochgearbeitet, doch 2017 saß er eines Tages in seinem Büro mit Hafenblick in Central und dachte an die Bäckerei seiner Familie in Cheung Chau und den bevorstehenden Ruhestand seines alternden Vaters. Kwoks Vater hatte ihn immer gedrängt, seine vielversprechende Karriere im Finanzwesen nicht für die mühsame Arbeit in der Bäckerei aufzugeben. „Mein Vater wollte die Bäckerei schließen“, erzählt Kwok. „Aber ich habe eine tiefe Verbindung zu diesem Ort und den drei Schriftzeichen Kwok Kam Kee – ich bin immerhin auf der Insel aufgewachsen. Für mich war es ein ungeschliffener Diamant.“
Noch am selben Tag kündigte er seinen Job und verkündete seinem Vater, dass er das Familienunternehmen übernehmen würde. Die erste Aufgabe auf Kwoks To-do-Liste war, den Absatzmarkt jenseits der gerademal drei km2 großen Insel Cheung Chau zu erkunden.
„In den ersten Monaten arbeitete ich von 6 Uhr morgens bis 19 Uhr abends in der Bäckerei“, sagt Kwok. „Dann schrieb ich zuhause bis 3 Uhr morgens Angebote. Die harte Arbeit zahlte sich aus, als ein renommiertes japanisches Design- und Merchandising-Unternehmen mit ihm eine Kooperation einging und eine Reihe neuer Glücksbrötchen mit niedlichen Zeichentrickfiguren auf den Markt kamen. „Das war ein guter Schachzug, denn alle Medien berichteten über die neue Zusammenarbeit.“
Aber auch darüber hinaus hat Kwok viele innovative Ideen umgesetzt. Seine Backwaren sind mittlerweile in den Regalen der Kaufhäuser und Supermärkte in ganz Hongkong zu finden. Er bietet die Glücksbrötchen mittlerweile auch auf der neuen Online-Website der Bäckerei an, über die man frische Backwaren sogar am selben Tag geliefert bekommt.
Diese Veränderungen erwiesen sich in den schwierigen Zeiten der COVID-19-Pandemie, als weniger Besucher auf die Insel kamen und das Cheung Chau Bun Festival drei Jahre lang ausfallen musste, als lebensrettend.
Doch auch die übrigen Betriebe von Cheung Chau blieben nicht untätig. Inselbewohner wie auch Neuankömmlinge machten sich daran, Cheung Chau neues Leben einzuhauchen, indem sie zahlreiche moderne, auf Instagram beliebte Cafés, Geschäfte und Boutiquen eröffneten, die nun den zeitlosen Charme der Insel unterstreichen.
„Cheung Chau – ein verschlafenes Fischerdorf? Niemals“, sagt Kwok mit einem Lächeln, „es ist jetzt richtig lebendig. Es gibt viele neue hippe Cafés und Geschäfte – wie den Designladen neben unserer Bäckerei.“ In derselben Straße haben wir nun auch eine Buchhandlung und ein beliebtes Ganztags-Frühstücksbistro. „Cheung Chau bietet für jeden etwas – und für Feinschmecker gibt es unzählige Restaurants und Imbisse“, berichtet Kwok, „Outdoor Fans finden hier zudem viele Wassersportmöglichkeiten. Auf Cheung Chau kann man leicht ein oder zwei Tage verbringen.“ Er empfiehlt den Kwun Yam Beach, einen weniger bekannten Strandabschnitt der Insel, der gleich neben dem bekannteren Tung Wan liegt.
Die Räume der Familienbäckerei haben sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert, dennoch haben neue Produkte und ein neues Geschäftsmodell die Bäckerei in ein modernes Unternehmen verwandelt, das für alte und neue Kunden gleichermaßen interessant ist. Heute bekommt man auch in Macao Kwok Kam Kee-Backwaren, und Kwok hofft, dass er seine Geschäfte bald auf ganz Südostasien ausweiten kann.
„Wir müssen neue Ideen entwickeln, um jüngere Menschen anzusprechen“, sagt Kwok. „Aber egal welche Veränderungen wir letztlich andenken, am wichtigsten ist es, dass unsere Glücksbrötchen gut schmecken – und wir müssen die Kernbotschaft erhalten, nämlich unser Glück mit anderen Menschen zu teilen.“ Sein Geschäft – zusammen mit einer Reihe neuer Cafés und Boutiquen – ist ein Beweis dafür, dass Cheung Chau erfolgreich mit der Zeit gehen und gleichzeitig seinen rustikalen Charme bewahren kann. Egal ob alt oder jung, alle Besucher sollen auf der Insel auf ihre Kosten kommen. „So bleiben wir nachhaltig“, betont Kwok.
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